Feuerwehrleute leisteten übermenschliches – Organisation steht in der öffentlichen Kritik – Brand im Grenfell-Tower am 24. Juni 2017 in London

Karlsruhe – Ulrich Volz, Vorsitzender des Stadtfeuerwehrverbandes Karlsruhe begrüßte in der Feuerwache West zahlreiche Gäste aus dem Kreis der Feuerwehren und den befreundeten Hilfsorganisationen. Sein besonderer Gruß galt dem Hausherrn, Herrn Stadtdirektor Florian Geldner, Kommandant der Feuerwehr Karlsruhe, dem Stellvertretenden Kreisbrandmeister des Landkreises Karlsruhe Bertram Maier, Eckhard Helms Vorsitzender des Kreisfeuerwehrverbandes und von den anderen Hilfsorganisationen  Michael Hambsch Landessprecher des THW, Matthias Wahl vom ASB und Dr. Christoph Nießner als Leitender Notarzt. Die beiden Feuerwehrverbände organisieren regelmäßig Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen für die Feuerwehrangehörigen aus Stadt- und Landkreis. Gerne kommen auch Gäste aus den weiteren Hilfs- und Rettungsorganisationen. Ulrich Volz führte mit Ereignissen durch Brände von Fassaden auch in der Stadt ins Thema ein.


Als Referenten konnte für diesen Abend Prof. Dr. Ing. Michael Reick, Kreisbrandmeister und Fachgebietsleiter vorbeugender Brand- und Gefahrenschutz des Landesfeuerwehrverbandes Baden-Württemberg  gewonnen werden. Thema war der Brand eines 24 geschossigen Hochhauses am 24. Juni 2017. „Die Feuerwehr London leidet heute noch unter diesem Brand, zumal  viele Feuerwehrangehörigen lange Zeit vor Gericht Rede und Antwort zu dem Ereignis und ihrem Tun und Lassen stehen mussten“ schilderte Prof. Reick die emotionalen Auswirkungen auf eine Feuerwehr die bei der Katastrophe 72 Tote verzeichnen musste. „Die Aufarbeitung eines Einsatzes in dieser Tiefe hat es weltweit noch nie gegeben“, berichtete er über die minutiöse Aufarbeitung. Das Gebäude hatte eine Gesamthöhe von 67m und war mit über 400 Personen bewohnt.

Die Feuerwehr London war damals sehr schnell mit dem Löschzug vor Ort, um den gemeldeten Küchenbrand zu löschen. Dieses Feuer war auch rasch gelöscht, während das Feuer auf die Fassade übergegriffen hat. „Es ist müßig die vielen vorhandenen Baumängel am Gebäude aufzuführen; es ist auch festzustellen was die Feuerwehr durch ihr Verhalten zu dem Schadenausmaß beigetragen hat“ zeigte Prof Reick zum Inhalt der umfangreichen öffentlichen Untersuchungen aus.

In London gibt es einen Grundsatz der Stay put Policy, eine Vorgehensweise, die es auch bei uns gibt. Die nicht gefährdeten Bewohner verbleiben im geschützten Bereich, bis die gefahrlose Rettung über entrauchte Rettungswege möglich ist. Durch die technische Ausstattung der englischen Feuerwehr und Polizei sind alle Gespräche aufgezeichnet und dokumentiert. „Es gibt nichts zu verheimlichen oder zu vertuschen“, führte Reick zur Frage der Dokumentation aus. „Jede Wärmebildkamera und jedes Atemschutzgerät haben einen Speicherchip mit allen Daten zu Zeit, Ort und Funktion der Geräte und der Personen“. Es haben sich in den letzten beiden Jahren 180 Richter, Staatsanwälte und Juristen mit dem Fall beschäftigt.

Die Feuerwehr hatte das Feuer eigentlich nach wenigen Minuten gelöscht und aber feststellen müssen, dass sich dieses Feuer über die Fassade innerhalt von 15 Minuten über alle Stockwerke nach ober ausgebreitet hatte. Über Festeröffnungen entzündeten sich Wohnungen auf verschiedenen Ebenen. „Für die Feuerwehr hätte erkennbar sein müssen, dass man nach 30 Minuten den Brand nicht mehr löschen konnte“, stellte Prof. Reick zur sehr schnellen Brandausbreitung über die Fassade fest. Das Feuer hat sich dann bis vier Uhr auf das ganze Gebäude über die Fassade ausgebreitet. Die Feuerwehr hatte die Bewohner über die ganze Zeit in ihren Wohnungen belassen. „Viele Menschen sind während des Notrufes oder des Telefonates mit Familienangehörigen in ihren Wohnungen Stunden nach Brandausbruch gestorben“, schilderte Prof. Reick die Dramatik des Einsatzverlaufes. Es ist auch dokumentiert, dass viele Bewohner sicher das Gebäude verlassen haben.

Sehr detaillierte zeigt er dem Fachpublikum die Technik der wenige Zeit vor dem Brand durchgeführten Brandschutz- und Sanierungsmaßnahmen an dem Gebäude auf. Prof. Reick hat sich auch sehr intensiv mit der Taktik der Londoner Feuerwehr zum Vorgehen beim Hochhausbrand befasst. Diese Standardregeln wurden in dieser Nach teilweise auch von der Feuerwehr nicht eingehalten und durchbrochen. „Der Treppenraum war lange Zeit rauchfrei und voll nutzbar und erst nach dem Einsatz der Feuerwehr immer mehr verraucht und nur noch von Personen erfolgreich zur Rettung genutzt, die körperlich fit waren. Andere haben das nicht mehr schaffen können“ erläuterte der Referent weiter. Dies wurde auch von der Öffentlichkeit hinterfragt und überprüft. „Die Leute der Feuerwehr haben unter Einsatz ihres Lebens, auch als der Einsturz des Gebäudes drohte, Menschen gerettet“, was sehr löblich ist; und dies obwohl über 72 Menschen gestorben sind“. Weitere höchst dramatische Ereignisse, die teilweise auch über Video vorgeführt wurden zeigten auf, was hier geleistet wurde. Die Dramatik des Geschehenen und die Betroffenheit übertrugen sich durch die hervorragende Darstellung durch Prof. Reick auch auf den heutigen Zuhörerkreis. „Die Feuerwehr Paris für Ihren Einsatz bei Notre Dame wird in den höchsten Tönen gelobt und die Feuerwehr London hat übermenschlich geleistet und viele Menschen gerettet und steht vor Gericht“, stellte Prof. Reick fest. Die Feuerwehr London hat erst nach dem Ereignis die ersten 700  Fluchthauben beschafft. Dieses Ereignis hat auch die Glaubwürdigkeit der Feuerwehr London in der Öffentlichkeit beschädigt, wobei die Leistungen der Feuerwehrleute unbeschadet ist. „Hier geht es wohl in Richtung Organisationsverschulden“ stellte Prof. Reick fest. Die persönliche Konsequenz für die künftige Arbeit der heute anwesenden Führungskräfte sollte die Dramatik und die Gefühlslage als Ansatz zum Nachdenken sein.

Bisher wurde zu dem Brand in London nur eine öffentliche Anhörung durchgeführt und die staatsanwaltschaftlichen Verfahren werde in der zweiten Phase und die zivilrechtlichen Schadenersatzsprüche erst in der dritten Phase folgen. „Die zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche gegen Firmen und Planer sind in der Höhe deutlich begrenzt und nur beim Nachweis von Organisationsverschulden gegenüber einer Behörde wäre könnten diese realisiert werden“. stellte Prof. Reick fest.

Eckhard Helms, Vorsitzender des Kreisfeuerwehrverbandes, bedankte sich bei Prof. Reick für den sehr einfühlsamen Vortrag, der bei allen Anwesenden sehr gut ankam und auch die Gefühlslage getroffen hat. „Dieser Einsatz war weit weg von uns und es wird aber deutlich, dass wir auch solche Lagen bei uns antreffen können. So auch 2017, am gleichen Tag in einem Hochhaus in Stutensee“, stellte Helms den Bezug zur Arbeit vor Ort fest.